Betrieb der autofreien Siedlung
Ist die Planung abgeschlossen, die Baubewilligung erteilt und die Gebäude erstellt, können die ersten autofreien Bewohnerinnen und Bewohner einziehen.
Damit ist aber das Projekt autofrei noch nicht abgeschlossen. Der Betrieb muss geregelt werden. Als Grundlage kann ein Mobilitätskonzept dienen. Dieses zeigt auf, welche Massnahmen die Mobilität ohne eigenes Auto der neuen BewohnerInnen unterstützt.
Um sicherzustellen, dass die Autofreiheit auch langfristig funktioniert, müssen Verträge mit den Bewohnerinnen und Bewohnern abgeschlossen werden. Auch muss abgesprochen werden, wie die Einhaltung der Regeln kontrolliert wird.
Da sich je nach Organisationsform der Siedlung die Instrumente unterscheiden wird nachfolgend spezifisch auf folgende Varianten eingegangen:
Verträge mit den Bewohnerinnen und Bewohnern
Damit die Autofreiheit gemeinsam gelebt werden kann, müssen die Regeln in Verträgen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern festgelegt werden. Je nach Rechtsform (Eigentumswohnung, Genossenschaftssiedlung, Mietwohnung) sind dazu unterschiedliche Formen zu wählen.
- Die BewohnerInnen müssen wissen, dass für die Wohnung, welche sie kaufen oder mieten insbesondere die Bestimmungen der Vereinbarung mit der Gemeinde zum autofreien Wohnen gelten.
- Sie müssen die Regeln der Autofreiheit kennen. Dazu gehört auch die Regelung allfälliger Ausnahmen.
- Sie müssen wissen, was als Verstoss gegen die Regeln gilt und welche Konsequenzen das Nichteinhalten der Regeln hat.
- Und natürlich soll auch geregelt werden, welche Rechte die Bewohnerinnen und Bewohner haben.
In der Siedlung Oberfeld in Ostermundigen beispielsweise werden die Nutzung der „Velowerkstatt“, die in den Mietpreis integrierten öV-Abos oder der garantierte Standplatz eines Mobility-Autos am Siedlungsrand geregelt.
Die Gemeinde kann in der Vereinbarung einen regelmässigen Nachweis darüber verlangen, dass die Autofreiheit funktioniert. Das kann beispielsweise bedeuten:
- Siedlungsbewohnerinnen und –bewohner zählen die Anzahl der in und um die Siedlung abgestellten Fahrzeuge.
- Es wird aufgezeigt, dass die Besucherparkplätze nicht durch Siedlungsbewohnerinnen und -bewohner genutzt werden.
- Es wird nachgewiesen, dass Klagen aus der Nachbarschaft wegen unerlaubtem Parkieren rund um die Siedlung unbegründet sind.
Beispiel Oberfeld Ostermundigen: Meldepflicht
Die Eigentümerinnen sind gemeinsam verpflichtet, der Gemeinde jeweils per Stichtag 1. März und jeweils bis zum 31. März alle Motorfahrzeuge zu melden, die von Eigentümern, Mietern oder andern Bewohnern der Siedlung regelmässig oder durchschnittlich mehr als zweimal pro Woche im Bereich der Siedlung über Nacht abgestellt werden und für die keine bewilligten Autoabstellplätze bestehen.
Beispiel Burgunder, Bern
Die Bauherrschaft ist für ihre Wohnbauten verpflichtet, für die Einhaltung der Parkplatzbenutzung im Sinne dieser Vereinbarung zu sorgen. Zu diesem Zweck erlässt sie entsprechende Benutzungsvorschriften und Verhaltensregeln für die Bewohnerinnen und Bewohner. Die Bauherrschaft verpflichtet sich zudem, den Mieterinnen und Mietern, welche die Vorschriften nicht einhalten, den Mietvertrag innert 3 Monaten zu kündigen.
Die Bauherrschaft ist verpflichtet, jährlich einen Bericht über die Einhaltung der Benutzungsvorschriften zu verfassen und diesen der Baupolizeibehörde der Stadt Bern sowie der zuständigen Quartierorganisation zuzustellen.
Werden Wohnungen im Stockwerkeigentum verkauft, gelten besondere rechtliche Rahmenbedingungen.
Die Autofreiheit muss in diesem Fall vom Verkäufer, der einen Vertrag mit der Gemeinde hat, auf den Käufer und die Nachkäufer übertragen werden. Dazu dienen der Kaufvertrag, das Stockwerkeigentümerreglement und der Grundbucheintrag.
Im Kaufvertrag muss auf alle relevanten Verpflichtungen des Käufers (bezüglich der Autofreiheit) hingewiesen werden, also zum Beispiel die Vorschriften der Überbauungsordnung oder den Vertrag der Verkäuferin mit der Gemeinde.
Im Kaufvertrag kann festgehalten werden, dass die Verkäuferin die Wohnung zurückkaufen kann, wenn die Bewohner die Regeln des autofreien Wohnens nicht einhalten.
Beispiel Oberfeld Ostermundigen
In den weiteren Vertragsbestimmungen des Kaufvertrags werden die besonderen Bestimmungen betreffend Autofreiheit geregelt.
Jede Stockwerkeigentümergemeinschaft verfügt über ein Reglement. In einer autofreien Siedlung mit Stockwerkeigentum muss im Reglement die Autofreiheit verankert werden.
Beispiel Oberfeld Ostermundigen
Im Beispiel Oberfeld ist der Vertrag mit der Gemeinde integraler Bestandteil des Reglements und jeder Stockwerkeigentümer wird verpflichtet, diesen Vertrag einzuhalten.
Weiter enthält das Reglement die „Sanktionsregeln“: Ein wiederholter Verstoss gegen den Vertrag mit der Gemeinde, insbesondere das Verbot im Umfeld der Siedlung ein Auto zu parkieren, gilt als wichtiger Grund für den Ausschluss aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft.
Ist dieser Ausschluss rechtskräftig und der Eigentümer verweigert den Verkauf seiner Wohnung, so hat die Stockwerkeigentümergemeinschaft das Recht zum Zwangsverkauf der Wohnung. Dieses Verfahren, das auch im Reglement definiert werden muss, funktioniert analog zu anderen Verstössen gegen das Reglement.
Beispiel Burgunder, Bern
Mit der Baubewilligung wurde die Auflage verfügt, dass zusätzliche Abstellplätze für Motorfahrzeuge erstellt werden müssen, wenn die Voraussetzungen für das Abweichen von der normalerweise notwendigen Anzahl Abstellplätze nicht mehr gegeben sind. Diese Auflage ist als Anmerkung auf dem Grundstück Bern-Gbbl. Nr. xxx im Grundbuch einzutragen. Die Baubewilligungsbehörde wird diesen Revers zur Eintragung ins Grundbuch anmelden.
Genossenschaften haben die Möglichkeit, mit ihren Mitgliedern, den Bewohnerinnen und Bewohnern der Genossenschaftssiedlung, spezielle Vereinbarungen zu treffen.
So kann z.B. festgelegt werden, dass in einer 4-Zimmer-Wohnung mindestens 3 Personen leben müssen. Ist diese Regel nicht (mehr) erfüllt, hat die Genossenschaft die Möglichkeit, das Mietverhältnis aufzulösen. Eine solche Regelung ist im normalen Mietrecht nicht umsetzbar.
Analog kann die Autofreiheit in einer Genossenschaft auch einfach in den Statuten und/oder in einem Reglement festgehalten werden.
Die Statuten einer Genossenschaft regeln - vergleichbar mit einem Verein - die rechtliche Grundlage innerhalb der Genossenschaft. Sie erklären, was die Mitgliedschaft bedeutet und welches die Ziele der Genossenschaft sind. Es kann beispielsweise auch festgehalten werden, unter welchen Bedingungen und gemäss welchem Verfahren ein Mitglied aus der Genossenschaft ausgeschlossen werden kann.
Beispiel Oberfeld, Ostermundigen
Die Wohnbaugenossenschaft Oberfeld hält in ihren Statuten als Zweck fest, dass sie eine autofreie Siedlung verwirklicht. Eine Missachtung dieser Bestimmung führt zum Ausschluss aus der Genossenschaft.
Statuten Wohnbaugenossenschaft Oberfeld (PDF)
Beispiel FAB-A, Biel
In den Statuten der Genossenschaft FAB-A steht, dass sie bezweckt ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltige, autofreie Liegenschaften zu erstellen, zu betreiben und zu unterhalten. Diese werden nur an Mitglieder vermietet, welche sich vertraglich verpflichten, während der Mietdauer weder Eigentum an Motorfahrzeugen zu halten noch solche zu besitzen. Begründete Ausnahmen hierzu werden in einem Vermietungsreglement geregelt.
Das Vermietungsreglement regelt, dass ein Mietvertrag nur unter gewissen Bedingungen abgeschlossen werden darf.
Dazu gehört eine rechtsgültig unterzeichnete Erklärung, während der Mietdauer weder Eigentümerin oder Eigentümer eines Autos zu sein noch ein Auto zu besitzen. Vorbehalten bleiben eine Mobility-Mitgliedschaft oder eine Ausnahmebewilligung. Details dazu werden ebenfalls im Reglement erläutert.
Der Inhalt eines Mietvertrags kann im Rahmen der zwingend vorgeschriebenen Bestimmungen des Mietrechtes, welche im Schweizerischen Obligationenrecht enthalten sind, frei vereinbart werden.
So wie in einem Mietvertrag beispielsweise das Halten von Haustieren untersagt werden kann, ist es auch möglich, das Abstellen von Autos in und um die Siedlung zu verbieten. Ein Verstoss gegen eine solche Vereinbarung kann zu einer Kündigung des Mietvertrags führen. Damit besteht im Mietverhältnis eine geeignete Möglichkeit, die Autofreiheit durchzusetzen.
Beispiel Burgunder, Bern
Mieter der Siedlung Burgunder müssen bei Abschluss des Mietvertrags eine besondere Vereinbarung betreffend „autofreies Wohnen“ unterzeichnen.